In der letzten Zeit widmen sich die Kommunikationsmedien nachdrücklich der Ausgrabung des Massengrabs der örtlichen Deutschen Bevölkerung bei Dobronin in der Nähe der Iglau (Südmähren). Bei aller Ehre dem Initiator dieser Aktion Herrn Mares möchte ich die folgende Tatsache einwenden. Es ist notwendig, streng zwischen den Fällen zu unterscheiden, in denen die Ortsbevölkerung die „Rechnung“ selbst beglich, mittels der selbsternannten „Revolutionsgarde“ (das ist der Fall Dobronin) und den Fällen, welche direkt durch die Vertreter des tschechoslowakischen Nachkriegsstaates geleitet wurden (besonders durch die Armeeeinheiten, die Ordnungspolizei, die Gemeinde- und andere Verwaltungsämter). Im zweiten (Staats-) Fall galt diese Tätigkeit als ein Beispiel für die Ortsbevölkerung, die sie als Entschuldigung eigener Untaten missbrauchte, welche in Wirklichkeit zur Selbstbereicherung, zur Sicherung von späteren Vorteilen, zur Verschleierung eigener Kollaboration oder ihrer beschämenden Passivität dienten.
Ihre Taten ladeten sie dann auf die Schulter des Nachkriegsstaates ab, der sie erst nachhinein rechtfertigte. Ich erlaube mir hier einige Zusammenhänge aufzuführen:
1) Man findet in Böhmen oder Mähren viele der aufgedeckten Massengräber der örtlichen oder passierenden Deutschen („der Nationalgäste“). In Mittel- oder Westböhmen sind sie überall, wo die deutsche Bevölkerung von den Hauptwegen auf die Nebenstrassen abbog.
2) Leitende Persönlichkeiten dieser sinnlosen Nachkriegsexzesse waren gierige Leute, denen es passte, über Schicksale anderer Leute entscheiden zu können, und zwar Schicksale der Opfer sowie der Volksgenossen (oft missbrauchten sie die Jugendbegeisterung, die Abhängigkeit, oder sie übten Erpressung oder Rache aus.
3) Im Fall vom Dobroninmassaker ging es um Mord, aber in ganzer Reihe von Fällen ging es um „Staatsaufträge“ (Berufung auf die Worte von Präsident Benes „guter Deutsche – toter Deutsche), also Aktionen, bei denen nicht nur die örtlichen Deutschen bewusst und geplant liquidiert werden sollten. Das ist der Fall von Postoloprty, der eindeutig die Genozidmerkmale der Staatsvertreter-Regie trägt, die ihre Macht missbrauchten und für die die Nachkriegsmassaker zum Vergnügen und zur Tagesroutine wurden.
4) Die Staatstellen wollten nicht immer die Verantwortung tragen, dies belegt z.B. die Schaffung einer parlamentarischen Untersuchungskommission und deren Schlussfolgerungen (wieder z.B. Postoloprty) und der Bericht von Justizminister Drtina, 1947 im Parlament vorgetragen, der die Fälle des sogenannten „Gestapismus“ nach dem Krieg an der tschechischen Seite erwähnt. Aus der Sicht des tschechoslowakischen Rechtes handelte es sich bereits um eine Revision der Nachkriegsbegnadigung des Präsidenten (nicht der Eigentumsdekrete!)
5) Im Jahr 1948 wurden alle Untersuchungs- und Gerichtsaktivitäten auf diesem Gebiet eingestellt, die meisten Schriften vernichtet oder ad acta gelegt. Dies war die Rückkehr zur „Dekretengerechtigkeit“ des Präsidenten. Cui bono?
Die moderne Geschichte und das Schicksal der damit verbundenen Leute sind nicht schwarzweiss, daran müssen wir uns gewöhnen. Es ist notwendig, die Geschichte zu revidieren und immer neue Fragen zu stellen. Aber in erster Linie müssen wir die Staatsverpflichtungen übernehmen, auch die alten. Im anderen Fall kann es uns passieren, dass wir an das Selektivrecht nach dem Jahr 1948 anknüpfen und vor den Verbrechen weiter die Augen schließen werden. Dazu gehört sicher auch, den Missbrauch der Staatsmacht aufzuzeigen, der zur gezielten Liquidation der Deutschen Zivilbevölkerung nach dem Krieg führte.
Einst sah ich den Niederländischen Film „Das schwarze Buch“ über den Widerstand und die Kollaboration im Zweiten Weltkrieg. Ich verschrak darüber, dass im Film nichts sicher war und die Szenen ständig wechselten. Je mehr ich unsere moderne Geschichte kennen lerne, desto mehr kommt mir der Filminhalt als ein schwacher Absud der tschechoslowakischen Verhältnisse vor.
Petr Zemánek, 5.9.2010
Übersetzung: Jan Kriz
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