Gerade acht Wochen im Amt, löst die Prager Ministerin Válková einen Skandal aus: Sie bedauert in einem Interview die Vertreibung der Sudetendeutschen. So schlecht sei es unter den Nazis nicht gewesen.
… Doch völlig überraschend kommen die Aussagen der Ministerin nicht. Die 63-jährige Válková stammt aus einem gemischten tschechisch-deutschen Elternhaus aus dem damaligen Troppau, dem heutigen Opava, im Sudetenland. Ihr Vater – ursprünglich Deutscher – bekannte sich 1938 zur tschechischen Nationalität, ging danach aber ins von den Nationalsozialisten beherrschte Protektorat und diente bei der Protektoratspolizei. "Er hat mich immer angehalten, Deutsch zu lernen. Die deutsche Kultur mit Goethe und Schiller sei eine wirkliche Kultur", sagte Válková. Im Grunde sei sie zweisprachig aufgewachsen. Dieses ausführliche Bekenntnis auch zur Sprache und Kultur der Nachbarn schlug am Mittwoch dem früheren tschechischen Präsidenten Václav Klaus auf den Magen. In einem Kommentar für das frühere KP-Zentralorgan "Pravo" führte er die Aussagen der Ministerin ursächlich darauf zurück, dass sie ihren Wohnsitz im bayerischen Passau habe. …
Kollaboration von Tschechen mit Deutschen
Über die andere Seite des "Protektorats" – die Kollaboration vieler Tschechen mit den Deutschen und die vergleichsweise Ruhe im Land – spricht man nur sehr ungern. Womöglich hat die gescholtene Ministerin Válková einen Anstoß dafür geliefert, über diese "andere Seite" neu nachzudenken.
Erste Ansätze dazu gab es schon unter der Regentschaft des ersten Nachwende-Präsidenten Václav Havel. Da wurde beispielsweise ein Film der BBC über eine riesige Trauerversammlung der Prager Bevölkerung für Heydrich im Fernsehen gezeigt: Der Prager Wenzelsplatz war seinerzeit schwarz von Menschen, die zweifellos nicht alle dorthin getrieben worden waren. Die Nachgeborenen, die diesen Film sahen, trauten ihren Augen nicht. Kein Wunder: 40 Jahre hatten die Kommunisten ein ganz anderes Bild der tschechischen Nation propagiert – das einer Nation im ständigen Widerstand.
Válková hat mit ihrem Interview somit neuerlich in ein Wespennest gestochen. "Lasst uns endlich auch diese Zeit aufarbeiten", lautete einer der Kommentare zu dem Interview der Ministerin im Internet. Ob er erhört wird, die Ministerin womöglich tatsächlich eine Debatte angestoßen hat, wird man sehen. Denkbar ist das. Vor allem junge Tschechen fragen schon länger die Großelterngeneration, wie die sich damals verhalten hat. Denkbar ist aber auch ein anderes Szenarium: Die Ministerin wird abberufen, und das unangenehme Thema verschwindet ruckartig vom Bildschirm.
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