In Milos Zeman hat Tschechien einen Präsidenten gewählt, der andere Politiker als "lausige Amateure" und Journalisten als "Idioten" bezeichnet – und vor allem die Menschen im Grenzgebiet manipulierte. Von Hans-Jörg Schmidt
Auch in Zeiten des Internets gibt es sie bis heute auf jedem tschechischen Dorf: Die Lautsprecher des Dorffunks, die an jeder zweiten Laterne baumeln. Schnarrend und krächzend zerreißen sie regelmäßig die dörfliche Idylle. Garniert mit Blasmusik wird da den Leuten verklickert, wer Geburtstag hat, wann sich die Freiwillige Feuerwehr und wann der Schützenverein trifft, dass das Rasensprengen über Mittag zu unterbleiben hat, dass der Dorfladen ausnahmsweise eher schließt oder dass der Tierarzt mit seiner Tollwutspritze beim Dorfkrug auf die Hunde wartet.
Man kann dem Dorffunk nicht ausweichen. Er plärrt so laut, dass dagegen auch keine dreifach verglasten Fenster ankommen. Die einen nervt der Krach furchtbar, die anderen ergötzen sich an den Gassenhauern im Polka-Rhythmus, die sich in der Regel den "beiden schönsten Dingen der Heimat" widmen – den Frauen und dem Bier.
Er haut den "Intellektuellen" gern eins rein
Milos Zeman erinnert an eine typische tschechische Dorffunkanlage. Niemand konnte ihm ausweichen. Keiner war im Wahlkampf um das tschechische Präsidentenamt so hyperpräsent wie er. Zeman vermag es, ein ganzes Volk zu unterhalten, über Stunden, nur mit häufigen Rauchpausen. Bei jeder Gelegenheit parlierte er mit teilweise schlüpfrigen Bonmots und Anekdötchen aus einem übervollen Fundus.
Journalisten fuhr er ebenso pausenlos wie lustvoll über den Mund. Sie seien per se "Idioten", verstünden ihren Job nicht. Eine Replik darauf, dass er gefühlt 90 Prozent der Journaille gegen sich habe. Zeman hat die Gabe, seine Widersacher mit dem freundlichsten Lächeln der Welt abzukanzeln. Wenn er den "Intellektuellen in Prag" eins reinwürgt, haut sich der Stammtisch in der Provinz auf die Schenkel.
Zeman verkündete dem Land zwei Wochen lang eine Dauerbotschaft: "Die tschechischen Politiker sind durchweg lausige Amateure. Der einzige Profi hier bin ich." Zeman hatte jedoch auch ein sehr professionelles Wahlkampfteam. Dem war vor der Stichwahl keine Lüge zu platt und zu hinterlistig, um sie nicht über den Gegenkandidaten, den konservativen Außenminister und böhmischen Adelsspross Karel Schwarzenberg, zu verbreiten. Dessen Team muss sich häufig so gefühlt haben wie der Hase im Märchen, der vom Igel und dessen Frau an zwei Enden der Furche ausgetrickst wird. Noch ehe eine Lüge als Lüge entlarvt werden konnte, war die nächste schon auf dem Markt.
Furcht ums kleine Häuschen
Glänzend manipulierte Zeman vor allem die Tschechen im Grenzgebiet, denen er einen gehörigen Schrecken einjagte, dass sie unter einem Präsidenten Schwarzenberg um ihr hübsches kleines Häuschen fürchten müssten. Wolle der doch den Sudetendeutschen alles wieder in den Rachen werfen, was sie bei der Vertreibung nach dem Krieg verloren hatten.
Die Botschaft verfing: Das Grenzland, in der ersten Wahlrunde neben der Hauptstadt Prag noch Schwarzenbergs Terrain, schwenkte in der Stichwahl massiv zum Zeman-Lager um. Dazu gesellten sich allerorts die sozial Benachteiligten, die mit der Wahl Zemans der unbeliebten bürgerlichen Regierung mit Schwarzenberg als Vizepremier ordentlich eins auswischen wollten.
Das Links-Rechts-Schema schlug deutlicher durch, als die Demoskopen erwartet hatten. Und dieses Schema wurde ergänzt durch den Gegensatz von jungen und älteren Wählern. Dass Zeman bei den Jungen und Gebildeten nichts holen konnte, war ihm von Beginn an klar. So überließ er denn seinem Gegner auch weitgehend freiwillig die Internetgeneration, die sich ihrerseits über Twitter und Facebook für "Karel" aufopferte. Denen ist es zu großen Teilen zu verdanken, dass Schwarzenberg trotz der üblen nationalistischen Kampagne seines Gegners auf beachtliche 45 Prozent der Stimmen kam.
Für schnelle Neuwahlen
Zeman genoss seinen Sieg am Samstagabend sehr. "Irgendwann werde ich mich mal bei früheren sozialdemokratischen Mitstreitern bedanken, dass sie mich 2003 bei der Präsidentenwahl im Stich gelassen haben. Ich habe damit zehn Jahre Zeit gehabt, mich auf mein Comeback vorzubereiten. Und jetzt bin ich auf der Burg." Das klingt wie eine Drohung für die einstigen Genossen. Der jetzige Chef der Sozialdemokraten bat denn auch geradezu unterwürfig um gute Zusammenarbeit.
Bevor sich Zeman seine früheren Kämpen vorknöpft, will er aber erst einmal der aktuellen bürgerlichen Regierung ans Fell. Die genieße keinerlei Vertrauen, weshalb er für schnelle Neuwahlen sei. Die kann er nicht erzwingen. Dazu fehlt ihm die Macht. Aber es passt zu seiner Ankündigung, sich weit mehr als seine Vorgänger Havel und Klaus in die Tagespolitik einmischen zu wollen.
Bis zum Amtsantritt Anfang März will sich Zeman jetzt aber mal erholen, kündigte er an. Bis dahin also hat der Dorffunk Pause. Für viele in Tschechien eine Erleichterung, wenn auch nur eine kurze.
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