So etwas habe ich in meinen vielen Jahren als Korrespondent in Prag noch nicht erlebt: als ich meiner Redaktion in Deutschland meine Beiträge über den tschechischen Präsidenten-Wahlkampf ankündigte, fragten die Kollegen aus Berlin zurück, ob sie das ernst nehmen sollten oder ob ich nur scherze. Nein, musste ich sagen, hier geht es nicht um Zukunftsvisionen, hier debattiert man tatsächlich wieder über längst erledigte Dinge: über die Benes-Dekrete und über die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg.
Das Erstaunen in Berlin war groß. Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass eine derart rückwärtsgewandte Debatte heute noch möglich ist. Alles ist zwischen Tschechen und Deutschen gesagt. In Prag feierte man den Abschluss der gemeinsamen Deklaration 1997 wie einen Sieg. Endlich sei der Schlussstrich gezogen. Das Thema Vertreibung ist aus dem Disput beider Länder verschwunden. Horst Seehofer war mit Vertretern der Landmannschaft in Lidice und Terezin. Der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat in einem Brief an Vaclav Klaus seine tiefe Scham über die deutschen Verbrechen geäußert, verneigte sich gemeinsam mit Klaus vor den Opfern in Lidice. Und jetzt diese Debatte im Wahlkampf. Da versteht man die Welt nicht mehr.
Da werden wieder die uralten Schreckgespenster ausgepackt, die schon kaum noch mit den Knochen klappern können. Da wird ernsthaft behauptet, Schwarzenberg wolle die Sudetendeutschen entschädigen, wolle das Protektorat neu errichten. Präsident Klaus zürnt, das werde er Schwarzenberg „nie verzeihen“. Zeman heftet sich demonstrativ einen tschechischen Fahnen-Sticker ans Revers, Widerstandskämpfer werden instrumentalisiert, als ob Millionen Sudetendeutsche unmittelbar vor den Toren Prags stünden. Und weshalb das peinliche Trauerspiel? Nur, um einen Präsidenten Schwarzenberg zu verhindern, der ja sowie so kein richtiger Patriot sein könne, dieser „Exilant“, dieser „Österreicher“. Schon sein Vater habe kollaboriert. Und im Schloss seiner Frau hängen schließlich nicht umsonst Nazi-Bilder.
Es hat mir keinen Spaß gemacht, darüber schreiben zu müssen. Es war mir peinlich für „meine“ Tschechen.
Und dann fiel mir noch eine Frage ein: Glauben diese Politiker, die mit plumpem antideutschen Gepöbel im Wahlkampf Punkte zu machen versuchen, ernsthaft, dass sie in Berlin als vertrauenswürdige Partner die Arme geschlossen werden?
Hans-Jörg Schmidt
Prager Korrespondent Die Welt
Für Aktualne.cz
27.1.2013
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