Vytisknout
Kategorie: Deutsche Artikel

Donald Trump ist eine einzige Provokation, dennoch muss man sich mit ihm ernsthaft auseinandersetzen. Der neue Präsident steht für eine grosse Strömung der Gegenwart: die Renaissance des Nationalstaats.

Die Welt wäre vermutlich ein besserer, auf jeden Fall ein weniger aufgeregter Ort, wenn sie lernte, mit den Amtseinführungen amerikanischer Präsidenten gelassen umzugehen. Barack Obama galt einem globalen Publikum als menschgewordener Messias, weil er die Massen mit Worten zu verführen wusste und zudem auf George W. Bush, Darth Vaders mutmasslichen Ziehsohn, folgte. Es stellte sich bald heraus, dass Obama zwar ein guter Rhetor, aber ein schlechter Administrator war.

... Die Medien schaden ihrer Glaubwürdigkeit, wenn ihnen ein Feindbild wichtiger ist als ihr Informationsauftrag.

Der chinesische Präsident Xi hat sich am Weltwirtschaftsforum in Davos bereits als der neue Held der Globalisierung und als Gegenspieler zu Trump feiern lassen, tatsächlich aber setzt sich China seit Jahren so unzimperlich durch, wie es Trump erst angekündigt hat. Im Grenzstreit im Südchinesischen Meer schafft Peking einseitig Fakten und ignoriert Schiedssprüche. Dennoch stösst Xi auf Zustimmung, Trump hingegen auf Ablehnung. Das internationale Publikum misst gern mit zweierlei Mass.

... Wo also hören die berechtigten Interessen auf, und wo beginnt kruder Nationalismus? Die Europäer sollten in dieser Debatte ausnahmsweise ihren Hang zu doppelten Standards zügeln. Man nimmt diesseits des Atlantiks selbstverständlich an, dass Amerika die Interessen seiner Verbündeten fast so hoch gewichtet wie die eigenen. Vielleicht ist auch das vorbei. Dann handelte Washington aber nur so, wie es London, Paris oder Berlin schon lange halten. Vielleicht bricht Amerika sogar Verträge, aber auch das geschieht tagtäglich, wenn Euro-Länder mit dem Segen Brüssels die Stabilitätskriterien verletzen.

Die Europäer sollten nicht jammern, sondern ehrlich Inventur machen. Welche Auswirkungen hat die Renaissance des Nationalen auf das in seiner heutigen Form überambitionierte Konstrukt der EU? Worin besteht der unveräusserliche Kern der europäischen Integration? Und wie setzt der stets zerstrittene Kontinent seine Interessen in der Welt durch? Es wäre schön, Klartext käme nicht nur aus Washington. 

https://www.nzz.ch/meinung/europas-reaktionen-auf-trump-hysterie-ist-keine-politik-ld.141469

 

J.Š.30.1.2017

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