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Kategorie: Deutsche Artikel

Die Tschechoslowakische Legion in Rußland

... Gerburg Thunig-Nittner schreibt 1970 in ihrem Standardwerk über die Legion: „Es wird nie ganz zu klären sein, wie die Legionäre im Einzelnen das große Vermögen erwarben, das sie in die Heimat mitbrachten. Es kann auch nicht nachgewiesen werden, welchen Teil sie regulär erwarben und welchen sie sich widerrechtlich angeeignet hatten. Dass dabei das Recht des Stärkeren waltete, kann nicht übersehen werden.“ ...

Mitte August 1914 bewilligt der Zar ein Ansuchen der Rußlandtschechen, die eine separate Truppeneinheit bilden wollen. Am Kiewer Sophienplatz erfolgt am 11. Oktober die Vereidigung auf den Selbstherrscher aller Reußen. Es handelt sich dabei um vier Infanterie-Kompanien, deren Angehörige sich Ceská druzina (Tschechische Gefolgschaft) nennen und um jeden Preis ihre angestammte Heimat von der österreichischen Herrschaft befreien wollen. Die Offiziere sind Russen, mit einer Ausnahme: Der tschechischstämmige pensionierte General Jaroslav Cervinka darf trotz seiner 66 Lenze ausnahmsweise mitmachen. Die russischen Zeitungen betrachten das Ganze eher als Kuriosum, für sie ist das Häufchen die sogenannte Hussiten-Legion.

Im Rahmen der russischen 3. Armee kommen die von Oberstleutnant Lokockij befehligten Hussiten ihrer Aufgabe – panslawistische Agitation im Rücken des Feindes – recht erfolgreich nach. Noch im Oktober ergeben sich beim galizischen Jaroslau Teile des Infanterieregiments 36 und des Landwehr-Regiments 30 ohne spürbaren Widerstand. Im März 1915 desertieren zwölf Kompanien zweier Regimenter.

Doch das Meisterstück gelingt am 3. April 1915. Am Duklapaß in den Karpaten geht das Infanterie-Regiment (IR) Nr. 28, also das durchwegs aus Tschechen bestehende und über 1.400 Mann starke Prager Hausregiment geschlossen zum Feind über. Damit nicht genug: Bei den Kämpfen am San desertieren am 26. und 27. Mai zahlreiche Soldaten der Infanterie-Regimenter Nr. 18, 21 und 98. Die Einheiten ergänzen sich aus rein tschechisch besiedelten Bezirken.

Den meisten Eidbrüchigen ist nicht zum Kämpfen zumute und daher schließen sich nur wenige Überläufer der Legion an, bei deren 1.673 Mann die Rußlandtschechen bei weitem überwiegen. Eine kleine Zahl, wenn man von 50.000 bis 60.000 tschechischen Kriegsgefangenen in Rußland ausgeht, denen es gemäß den Aussagen deutscher und ungarischer Mitgefangener oft an Kameradschaftsgeist mangelt. Nicht wenige versuchen sich bei den Wachmannschaften als slawische Mitbrüder einzuschmeicheln, was ihnen regelmäßig eine Tracht Prügel einbringt.

Über Drängen ihrer westlichen Verbündeten, die wiederum von Masaryk und Beneš buseriert werden, genehmigt das zaristische Außenamt am 12. Februar 1917 den Aufbau einer eigenständigen Tschechen-Armee in Rußland. Daraufhin überschwemmen die Hussiten die Gefangenenlager mit Flugschriften, der Erfolg bleibt mäßig. Die neue Kerenski-Regierung in Sankt Petersburg sieht dem Treiben zwar mißtrauisch zu, will es sich aber deswegen mit London und Paris nicht verscherzen.

Im Zuge der Brussilov-Offensive stehen die drei Regimenter der Legion (nunmehr 3.530 Mann stark) am 2. Juli 1917 bei Zborów, einem galizischen Flecken zwischen Lemberg und Tarnopol, dem Pilsener IR 35, dem IR 75 aus dem ebenfalls böhmischen Neuhaus sowie einem kroatischen Verband gegenüber. Infolge der hussitischen Wühlarbeit ergeben sich die k. u. k. Truppenkörper nach kurzem Gefecht, insgesamt 62 Offiziere und 3.150 Mann strecken die Waffe. Bloß vereinzelte Verbände, überwiegend Deutschböhmen und Kroaten, leisten erbitterten Widerstand. Trotz des Risikos, eine Gewehrkugel in den Rücken verpaßt zu kriegen – die übliche Methode, sich den Weg zur Desertion freizuschießen.

Später feiert die ČSR den Kampf bei Zborów als Geburtstag der nationalen Armee, die Hussiten bauschen den angeblichen Sieg zum Heldenmythos auf. Selbst die Westalliierten lassen sich täuschen und treten ab jetzt als Förderer in Erscheinung. Ende 1917 hat die Legion – sie nennt sich jetzt tschechoslowakisch, obschon der Anteil der Slowaken bei drei Prozent liegt – bereits 35.000 Mann, weil viele Kriegsgefangene nun den Versprechungen und Pressionen der Werbetrupps erliegen. Jedoch bleibt der reich gedeckte Tisch für so manchen ein Wunschtraum, denn ab dem Herbst 1917 gibt es keinen Nachschub seitens der Russen, die Tschechen requirieren Magazine, andere Güter werden – wie Masaryk treuherzig anmerkt – brevi manu erworben, also ohne viel Federlesens.

Der Friedensschluss von Brest-Litowsk bringt die Legion in eine heikle Lage, es besteht die Gefahr einer Auslieferung an die Doppelmonarchie. Die Bolschewisten gewähren am 15. März 1918 den freien Abzug, freilich nur unter der Auflage des Heraushaltens der Legion aus den innerrussischen Konflikten. Masaryk beschließt, seine Mannen mit der Transsibirischen Eisenbahn (Transsib) zum Pazifik zu schleusen, dann von Wladiwostok weiter per Schiff um den halben Globus an die Westfront in Frankreich. Tatsächlich erreichen am 25. April die ersten Legionäre die Hafenstadt, im Mai kommen 14.000 Mann in einem Dutzend Züge an – ohne Waffen, die nehmen ihnen die Bürgerkriegsparteien als Maut für die Weiterfahrt sukzessive ab.

Im Frühjahr 1918 entwickelt der britische Generalstab den Plan, einen Teil der Legion über Archangelsk an die Westfront einzuschiffen. Was zu erheblicher Unruhe bei den Hussiten führt, wo einige einen bestimmten Hintergedanken hegen: Möglichst lange mit der Eisenbahn Richtung Osten fahren, danach an der Küste auf ein Schiff zu warten, um dann auf dem Ozean eine Weltreise zu tun. Vielleicht ist dann der Krieg schon zu Ende …

Die Stadt Tscheljabinsk am Ural ist Mitte Mai Schauplatz von wodkabedingten Zusammenstößen zwischen Tschechen und Bolschewisten. Trotzki befiehlt deswegen am 25. Mai in einem Zirkulartelegramm die sofortige Entwaffnung der Legionäre. Ein vergebliches Unterfangen, da sich entlang der sibirischen Bahnstrecke nur einige in Horden zusammengeschlossene Rotarmisten befinden, die gegen die bis an die Zähne bewaffneten Tschechen nicht aufkommen. Schnell sind die wichtigsten Stationen der Transsib zwischen Wolga und Wladiwostok in der Hand der Legionäre.

Am 18. Juni 1918 wird die Stadt Trojck erobert, danach ein förmliches Blutbad angerichtet, unter den Opfern befinden sich viele am Kampfgeschehen gänzlich unbeteiligte k. u. k. Kriegsgefangene deutscher und ungarischer Zunge. Am 10.August fällt Kasan in die Hand der Tschechen, dort erbeuten sie die von der Russischen Reichsbank von Sankt Petersburg in diese Stadt ausgelagerten Währungsreserven. Satte 651 Millionen Goldrubel, ein Teil davon in glitzernden Barren.

Berauscht vom Erfolg und aufgestachelt von den Alliierten, die das Märchen von der Zusammenarbeit zwischen den Mittelmächten und Lenin in Umlauf setzen, geriert sich die Legion als Beherrscherin Sibiriens. Dazu gesellt sich ein aufreizendes Verhalten gegenüber der Bevölkerung.

Das Glück währt nicht lange. Im September greifen die Roten an, mit durchschlagendem Erfolg. Immerhin haben die Tschechen noch so viel Zeit um 250 Zugtransporte mit erbeuteten Gütern, Munition und Waffen auf die Reise zu schicken. Von der Wolga flutet die demoralisierte Legion ostwärts, zusammen mit Admiral Alexander Koltschak, dem ehemaligen Befehlshaber der Schwarzmeerflotte und nunmehrigen Chef der Weißen im Bürgerkrieg. Koltschak, der das Wohlwollen der Entente genießt, und die Tschechen sind nunmehr ein Herz und eine Seele.

Ungeachtet ihrer Niederlagen nimmt die Zahl der Legionäre stetig zu, denn am 28. Oktober 1918 entsteht nach vorher in Wien eingeholter Bewilligung die selbständige ČSR und für viele Kriegsgefangene, die bisher abgewartet haben, ist der Anschluß an die Legion die einzige Möglichkeit schnell nach Hause zu kommen. Ende Mai 1919 befindet sich die gesamte Legion in Westsibirien zwischen Ural und Bajkalsee. In Europa ist der Krieg zu Ende, man will nichts wie weg.

Als die Roten in Irkutsk die Weiterfahrt behindern, verraten die Tschechen Admiral Koltschak und liefern ihren Verbündeten am 15. Jänner 1919 den Bolschewisten aus, um sich die freie Durchfahrt zu erkaufen. Ein paar Tage später steht der Admiral vor dem Erschießungspeloton. Später trennt man sich blutenden Herzens vom russischen Goldschatz. Freilich nicht zur Gänze, ein erklecklicher Teil des Edelmetalls fährt mit in Richtung Wladiwostok.

Im letzten Abschnitt der Transsib, der Strecke entlang des Amur, halten japanische Truppen der Legion den Rücken frei. Viele Tschechen benutzen dies zu Einkäufen besonderer Art. Weit unter dem Marktpreis erwirbt man Kupfer (sagenhafte 740.000 t), Baumwolle (5.600 t), Kautschuk (5.000 t) und Salpeter (2.500 t). Daneben Unmengen an Leder, Pelzen und Maschinen. In Wladiwostok requiriert die Legion 28 Waggons mit Lastwagenreifen im Wert von 38 Millionen Rubel.

Gerburg Thunig-Nittner schreibt 1970 in ihrem Standardwerk über die Legion: „Es wird nie ganz zu klären sein, wie die Legionäre im Einzelnen das große Vermögen erwarben, das sie in die Heimat mitbrachten. Es kann auch nicht nachgewiesen werden, welchen Teil sie regulär erwarben und welchen sie sich widerrechtlich angeeignet hatten. Dass dabei das Recht des Stärkeren waltete, kann nicht übersehen werden.“

Die Heimreise über den Ozean beginnt am 9. Dezember 1919. Die Schwejks ächzen unter der Last ihrer Beute. Unwillkürlich denkt man dabei an Friedrich Schillers „Ring des Polykrates“, wo es heißt:„Mit fremden Schätzen reich beladen / Kehrt zu den heimischen Gestaden / Der Schiffe mastenreicher Wald ...“

Erich Körner-Lakatos

SUDETENPOST, Folge 12 vom 7.Dezember 2017

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