Nicht nur, daß die älteste deutsche Universitätsgründung (Karlsuniversität 1348 – ab 1654 Karl-Ferdinands-Universität) in Prag – bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Kulturmetropole mit überwiegend deutschsprachiger Bevölkerungsstruktur – stattfand. Auch Olmütz (1573) und Brünn verfügten über deutsche Universitäten. Daneben existierten in Prag und in Brünn auch renommierte deutsche Technische Hochschulen und im gesamten Sudetengebiet ein ausgebautes (Fach-)Schulsystem mit einem flächendeckenden Gymnasialangebot und einer Reihe von Staatsgewerbeschulen / Lehrerbildungsanstalten / Ingenieurschulen / Fachschulen (unter anderem Textil / Glas / Ton – Keramik) und Landwirtschaftlichen Akademien.
Welche Vielzahl bedeutender Beiträge zum europäischen Geistes-, Wirtschafts-, und Kulturleben aus diesem akademischen Umfeld hervorging, mögen nur die Namen einiger Professoren und Studenten (Max Brod / Christian A. Doppler / Albert Einstein / Georg Hamel / Franz Kafka / Viktor Kaplan / Ernst Mach / Gregor Mendel) belegen.
Aber auch die Namen folgender Persönlichkeiten mit sudetendeutscher Herkunft – teilweise mit Studienorten in Deutschland beziehungsweise der k.u.k. Monarchie – sind mit besonderen (wissenschaftlichen) Leistungen verbunden: Oskar Baudisch / Eugen Böhm-Bawerk / Peter Grünberg (Nobelpreis) / Hermann Heller / Edmund Husserl / Hans Kelsen / Karl Koller / Horst Löb / Joseph Ressel / Eugen Sänger / Herwig Schopper / Joseph A. Schumpeter.
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Die Wissenschaft trägt viele sudetendeutsche Namen
Eine besondere Anerkennung für herausragende Leistungen ist die Namensverbindung als wissenschaftlicher „terminus technicus“ in der Fachliteratur mit der jener Persönlichkeit, auf die das / die jeweilige Verfahren / Erkenntnis zurückgeht. Hier eine lange Liste von Beispielen, die Fritz H. Schmachtel zusammengestellt hat:
Anton-Babinski-Syndrom
(Visuelle Verkennung der Blindheit nach Sehbahnenschädigung). Mitbenannt nach dem
im Jahre 1858 geborenen Saazer / Žatec (B) Neurologen und Psychiater Professor Gabriel Anton.
Ballingsche Formel
Umrechnung des Stammwürzegehalts des Bieres auf Volumensprozente. Nach dem 1805 in Gabrielahütten/Saaz / Gabrielčina Huť (B) geborenen Chemie-Prof. Karl J. N. Balling.
Baudißsche Lenksteuerung
(für Dampfmaschinen): Nach dem im Jahre 1904 in Prag / Praha geborenen Maschinenbau-Professor Leo Baudisch.
Beckische Linie
(Bestimmungsmethode für Mineralien): Nach dem 1855 geborenen Prager / Praha Mineralogie-Professor Friedrich Becke.
Benson-Kessel
(überkritischer Zwangsdurchlaufkessel ohne Trommel / Siemens-Patent): Nach dem in die USA / Großbritannien ausgewanderten sudetendeutschen Ing. M. Benson (ursprünglich M. Müller).
Chrobakscher Sondenversuch
(Sondeneingriff in nekrotisches Gewebe des Zervixkarzinom) Chrobaksche Operation: Supravaginale Hysterektomie. Otto-Chrobak-Becken: Vorwölbung von Hüftpfannne und -kopf. (Mit-) Benannt nach dem im Jahre 1843 in Troppau / Opava (M) geborenen Gynäkologen Professor Rudolf Chrobak.
Chvostek-Zeichen
(Übererregbarkeit der Gesichtsnerven): Nach dem 1835 in Mistek-Friedek / Frýdek-Místek (M) geborenen Prof. Franz Chvostek. Nach seinem 1864 in Wien geborenen Sohn benannt: Chvosteksche Anämie.
Cori-Ester
(Zwischenprodukt beim Auf- und Abbau des Glykogens): Mitbenannt nach dem 1896 in Prag / Praha (B) geb. Ehepaar Gerty u. C. F. Cori (Nobelpreis 1947).
Etrich-Taube
(Eines der ersten in größerer Stückzahl gebaute Schul- und Aufklärungsmodelle): Nach dem im Jahre 1879 in Ober Altstadt/Trautenau / Horní Staré Město/Trutnov (B) geborenen Flugzeugkonstrukteur Ignaz Etrich.
Falta-Syndrom
(Polyglanduläre Insuffizienz – Blutdrüsensklerose): Nach dem 1875 in Karlsbad / Karlovy Vary (B) geborenen Prof. Wilhelm Falta.
Fischel-Ektopie
(Zervikalkanal-Ephitel bei weiblichen Neugeborenen): Nach dem 1851 geborenen Prager / Praha Gynäkologen Privatdozent Wilhelm Fischel.
Fischer-Tropsch-Synthese
(Künstliche Herstellung von Treibstoffen): Mitbenannt nach dem 1889 in Plan/Tachau /Planá–Tachov (B) geborenen Chemiker Hans Tropsch.
Freud’scher Versprecher
(Lapsus linguae – unbewußte Aussage durch Versprecher): Nach dem 1856 in Freiberg /Příbor (M) geborenen Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud.
Fuchs-Rosenthal-Zählkammer
(Zellenzählung bei klinischer und wissenschaftlicher Diagnostik). Mitbenannt nach dem 1870 in Prag / Praha (B) geborenen Neurologen Prof. Alfred Fuchs.
Lambliasis
(Durchfallerkrankung durch Parasit „Giardia lamblia“). Nach dem 1824 in Lettin/Pilsen / Letiny/Plzeň (B) geborenen Mediziner Prof. Wilhelm Lambl.
Glaser-Haempelsche Fischtest
(Schwangerschaftsbestimmung): Mitbenannt nach dem 1870 in Lichtenstadt/Karlsbad / Hroznětín/Karlovy Vary (B) geborenen Prof. Erhard Glaser.
Gödelsches Unvollständigkeitsgesetz
(„In widerspruchsfreiem System ist Unbeweisbares“): Nach dem 1906 in Brünn/Brno (M) geborenen Mathematiker Kurt Gödel.
Hasner-Falte
(Schleimhautfalte im Nasengang / plica lacrimalis): Nach dem 1819 in Prag/Praha (B) geborenen Opthalmologen Prof. Josef von Hasner.
Heinl-Vorwärmer / Heinl-Vergaser
Nach dem 1880 in Haid / Bor (B) geborenen Techniker Prof. Franz Heinl.
Satz von Herglotz
In der Differentialgeometrie.
Wiechert-Herglotz-Methode
In der Erdbebenforschung. (Mit-) Benannt nach dem 1881 in Wallern / Volary (B) geborenen Prof. Gustav F. J. Herglotz.
Hofmeister-Reihe
(Beschreibt unterschiedliche Fällungswirkungen von Salzen): Nach dem 1850 in Prag / Praha (B) geborenen Mediziner / Chemiker Prof. Franz Hofmeister.
Husserlscher Ansatz
(In der Philosophie / Soziologie): Nach dem 1859 in Proßnitz / Prostějov (M) geborenen Philosophen und Mathematiker Prof. Edmund Husserl.
Jacksche-Anämie
(Jaksch-Hayem-Syndrom): Nach dem 1855 in Prag / Praha (B) geborenen Kinderarzt Professor Rudolf v. Jacksch.
Kahler-Picksche-Gesetz
(Anordnung der Nervenfasern): Nach dem 1849 in Prag / Praha (B) geborenen Professor Otto Kahler.
Nach dem 1851 in Groß-Meseritsch / Saar (M) geborenen Psychiatrie-Prof. Arnold Pick.
Loschmidt- (oder Avogrado-) Zahl /Konstante
(Zahl der Moleküle pro idealer Gaseinheit): Nach dem 1821 in Putschim/Karlsbad / Karlovy Vary (B) geborenen Physiker Professor J. Joseph Loschmidt.
Machsche-Wellen / -Effekt
(Messung der Schallgeschwindigkeit / Doppler-Effekt): Nach dem 1838 in Chirlitz/Brünn / Brno (M) geborenen Physiker Ernst Mach.
Maier-Form
(Schiffsform mit einem gleitendem Rumpf): Nach dem 1844 in Znaim / Znojmo (M) geborenen Schiffskonstrukteur Fritz F. Maier.
Mauthnersche Membrane
(Innere Teil der Zellen-Isolationshüllen): Nach dem 1840 in Prag / Praha (B) geborenen Augenarzt Prof. Ludwig Mauthner.
Mattauchsche Isobarenregel
(Empirische Regel der Radio- / Kernchemie): Nach dem 1895 in Mährisch Ostrau / Ostrava (M) geborenen Physiker Josef Mattauch.
Mendelsche Gesetze
(Vererbungslehre): Nach dem im Jahre 1822 in Heinzendorf/Odrau / Odry (M) geborenen Abt Gregor J. Mendel.
Molisch-Probe
(Nachweis von Kohlehydraten): Nach dem 1856 geborenen Brünner / Brno (M) Botaniker Professor Hans Molisch.
Morbus maixneri
(Leberzirrhose mit Milz- und Lebervergrößerung und Darmblutungen): Nach dem 1847 in Nischburg / Nižbor (B) geborenen Internisten Professor Emerich Maixner.
Mucha-Habermann-Syndrom
(Infektallergische inflammatorische Hauterkrankung): Mitbenannt nach dem 1877 in Königgrätz / Hradec Králové (B) geborenen Dermatologen Professor Victor Mucha.
Neubauer-Kammer
(Zum Zählen von Zellen in Suspensionen am Mikroskop): Nach dem 1874 in Karlsbad / Karlovy Vary (B) geborenen Internisten Otto Neubauer.
Osersche-Magenschlauch
(Ersatz für starre Magensonde): Nach dem 1839 in Lundenburg / Břeclav (M) geborenen Professor Leopold Oser.
Picksche Körper
(Komplemente aus Antikörpern und Neurotubili): Morbus-Pick: (Beschreibt Symptome der Demenzerkrankung): Nach dem 1851 in Groß-Meseritsch/Saar / Velké Meziříč (M) geborenen Neurologen Professor Arnold Pick.
Prießnitz-Umschlag
(Feuchtkalter Wickel / Wasserkuren): Nach dem 1799 in Gräfenberg/Freiwaldau / Jeseník (M) geborenen Vinzenz Prießnitz.
Rickettsia prowazekii:
(Entdeckte Fleckfiebererreger / Zusammenarbeit mit Paul Ehrlich): Nach dem 1875 in Neuhaus / Jindřichův Hradec (B) geborenen Stanislaus Prowazek Edler von Lanow.
Radon-Transformation
(Integraltransformation einer Funktion in zwei Variablen): Nach dem 1887 in Tetschen-Bodenbach / Děčín (B) geborenen Mathematiker Professor Johann Radon.
Reuss-Farbtafeln
(Diagnose der Farbenblindheit): Nach dem 1841 in Bilin/Teplitz-Schönau / Teplice (B) geborenen Augenarzt Professor A. Leopold v. Reuss.
Rust-Krankheit / Desease
(Tuberkulose der Halswirbel): Nach dem 1775 in Jauernig/Freiwaldau / Javornik/Jesenik (M) geborenen Professor Johann N. Rust.
Schrothkur
(Naturheilverfahren mit Trink- und Trockentagen): Nach dem im Jahre 1898 in Böhmischdorf/Freiwaldau / Česká Ves/Jesenik (M) geborenen Johannes Schroth.
Schüllersche Krankheit:
(Erkrankung durch Lipoideinlagerungen im Kindesalter): Nach dem 1874 in Brünn / Brno (M) geborenen Neurologen Arthur Schüller.
Skoda’sches Band
(Anatomische Beschreibung des Pferdes): Nach dem im Jahre 1872 in Oslawan/Brünn / Brno (M) geborenen Veterinärmediziner Professor Karl Skoda.
Skraup-Synthese
(Synthese von Chinolin und dessen Derivaten): Nach dem im Jahre 1850 in Prag / Praha (B) geborenen Chemiker Professor Z. Hans von Skraup.
Stellwag’sches Zeichen
(Seltener Lidschlag bei Schilddrüsenerkrankung): Nach dem 1823 in Langendorf/Mährisch Neustadt / Dlouhá Loučka/Uničov (M) geborenen Augenarzt Professor Karl Stellwag.
Türcksche Kammer
(Hämozytometer zur Quantifizierung von Zellen – zum Beispiel Leukozyten) – (auch Bürker-Türk-Kammer).
Türksche Reizformen
(Lymphatische Plasmazellen / Reizform): Nach dem 1871 in Wiese (M) geborenen Internisten und Hämatologie-Professor Wilhelm Türk.
Voith-Schneider-Propeller
(Schiffsantrieb mit Antriebs- und Steuerungsmechanismus): Mitbenannt nach dem im Jahre 1894 in Gaya/Göding / Hodonín (M) geborenen Techniker Ernst L. Schneider.
Weil-Felix-Reaktion
(Nachweismethode für die Fleckfieber-Erkrankung): Mitbenannt nach dem 1879 in Tachau / Tachov (B) geborenen Hygiene-Professor Edmund Weil.
Weil-Kafka-Reaktion
(Hämolysinreaktion). Nach dem im Jahre 1879 in Tachau / Tachov (B) geborenen Hygiene-Professor Edmund Weil.
Nach dem 1881 in Karlsbad (B) geborenen Serologen Prof. Victor Kafka.
Wolf-Palisa-Sternkarten
(Entdeckte über hundert Planetoide): Nach dem 1848 in Troppau / Opava (M) geborenen Astronomen Johann Palisa.
Zappert-Syndrom
(Zerebraler Tremor des Kopfes / Gliedmaßen bei Kleinkindern): Nach dem 1867 in Prag / Praha (B) geborenen Kinderarzt Professor Julius Zappert.
Zaufal’sche-Prinzip
(Unterbindung von Venen): Nach dem 1837 in Puschwitz/Poderssam / Podbořany (B) geborenen HNO-Professor Emanuel Zaufal.
Zippe-Zentrifuge
(Gaszentrifuge zur Urananreicherung): Nach dem 1917 in Warnsdorf / Vansdorf (B) geborenen Physiker und Radiumforscher Gernot Zippe.
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Wissenschaftliche Bestimmungstermini, die auf sudetendeutsche Wissenschaftler und Forscher zurückgehen:
Botanische / zoologische:
„Atomaria lederi“ (unter anderem Insekten mit Namenszusatz): Hans Leder, geboren 1843 in Jauernig / Javornik (M).
„Bergers Rekord“ (Dahlie): Vincenz Berger, geboren 1883 in Komotau / Chomutov (B).
„Carum Lumpeanum“ (Doldenblütler): Heinrich Lumpe, geboren 1859 in Neudaubitz / Nové Doubice (B).
„Crocus sieberi / Limonium sieberi“: Franz W. Sieber, geboren 1789 in Prag / Praha (B).
„Epipactis voethii“ (heimische Orchidee): Walter Vöth, geboren 1919 in Mährisch Schönberg (M).
„Ficus bojeri“: Wenzel Bojer, geboren 1795 in Resanitz/Pilsen / Resanitz/Plzeň (B).
„Hackelia ...“ (Zusatz zu verschiedenen Grasarten): Eduard Hackl, geboren 1850 in Haida / České Lípy (B).
„Kamelie“ (Pflanzenart): Georg Kamel, geboren 1881 in Brünn / Brno (M).
„Macromitrium gebaueri“: Anton K. Gebauer, geboren 1872 in Benisch/Freudenthal / Horni Benešov/Bruntál (M).
„Mikania willd“ (Asteraceae): Josef G. Mikan, geboren 1743 in Böhmisch Leipa / Česká Lípa (B).
„Typhlotrectus bilimeki“ (Käferart): Dominik Bilimeki, geboren 1813 in Neutitschein / nový Jičín (M).
„Werauhia patzeltii“ (Ananasgewächs): Erwin Patzelt, geboren 1924 in Tschema/Hohenelbe / Vrchlabí(B).
Mineralien:
„Böhmite“ (aluminiumhaltiges Mineral): Johann Böhm, geboren 1895 in Budweis / České Budějovice (B).
„Tertschit“ (Boratmineral): Herm. J. Tertsch, geboren 1880 in Alt Petrein/Znaim / Znojmo (M).
„Zippeit“ (Urangestein): Franz X. Zippe, geboren 1791 in Nieder Falkenau / Dolní Falknov (B).
(Fritz H. Schmachtel, erschienen in Sudetenpost Folge 7 vom 3. Juli 2014)
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Jan Šinágl, 6.8.2014